Die Einführung der 4-Tage-Woche in Deutschland ist ein komplexes Thema. Ist sie überhaupt möglich? Wie soll sie konkret aussehen? Für welche Branchen kommt das Modell mit reduzierter Arbeitszeit infrage?
Alle Parteien im Bundestag fordern hauptsächlich mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung (Elternzeit, Pflegezeit, Lebensarbeitszeitkonto etc.). Arbeitgeber wünschen sich - je nach Bedarf -, längere oder kürzere Arbeitszeiten festlegen zu können. Gewerkschaften wünschen sich eine Option für kürzere Arbeitszeiten.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie eine Vier-Tage-Woche gestaltet werden kann:
Dazwischen gibt es noch viele andere Formen. Ein kleiner Handwerksbetrieb kann z. B. eine wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden anbieten. Dann folgen drei freie Tage - bei gleichbleibendem Gehalt.
Eine Vier-Tage-Woche mit einem 40-Stunden-Arbeitspensum ist zurzeit rechtlich nicht zulässig. 1994 wurde der 8-Stunden-Tag gesetzlich festgelegt, Ausnahmen sind möglich, aber derzeit nicht flächendeckend geplant. Ohne Zeiterfassung war es durchaus möglich, dass Mitarbeiter auch länger als die vorgegebenen Stunden gearbeitet haben. Aufgrund der Zeiterfassungspflicht kann hierbei jedoch nicht länger getrickst werden.
Zielt das Modell darauf ab, dass die Mitarbeiter in weniger Zeit die gleiche Leistung erbringen müssen, bedeutet das eine große Umstellung. Sämtliche Arbeitsabläufe müssen darauf überprüft werden, wo es zu Verzögerungen und Leerläufen kommt. Die Mitarbeiter müssen immer hochkonzentriert arbeiten. Insbesondere wenn Angestellte flexible Arbeitszeiten haben, müssen sie Absprachen absolut zuverlässig einhalten.
Kommunikation muss einwandfrei ablaufen, Verzögerungen und Nachfragen sind hinderlich. Ein hoher Digitalisierungsgrad ist notwendig, die Arbeitsabläufe müssen effektiv gestaltet werden. Die straffe Tagesgestaltung kann z. B. bedeuten, dass alle Anrufe in einem eigenen Callcenter landen. Die Firma ist telefonisch nicht erreichbar, E-Mails werden nur 2-mal pro Tag beantwortet. Meetings werden rechtzeitig geplant und dürfen nicht länger als 15 Minuten dauern.
Mitarbeiter überprüfen ständig ihre Prioritäten. Was ist wichtig? Was ist dringend? Was ist beides? Was ist weder noch?
Eine hohe Arbeitsmoral wird benötigt. Das Unternehmen wird seine Mitarbeiter gezielt dort einsetzen, wo sie ihre Stärken ausspielen können. Nur dann liefern sie Höchstleistungen.
Island hat zur Vier-Tage-Woche eine umfangreiche Studie durchgeführt. Ein Prozent der arbeitenden Bevölkerung arbeitete von 2015 bis 2019 - bei gleichem Lohn - nur noch 35 Stunden. Getestet wurde dabei in verschiedenen Branchen. Das Experiment war ein Erfolg, die Probanden vermeldeten eine bessere Work-Life-Balance. Mittlerweile können 86 % der Isländer ihre Arbeitszeit reduzieren.
In Belgien können Arbeitnehmer ihr 5-Tage Pensum auf 4 Tage umlegen. Ziel ist mehr Flexibilität und eine bessere Work-Life-Balance für die Angestellten.
Für Gewerkschaften, Befürworter und viele Angestellte liegen die Vorteile klar auf der Hand:
Den Angestellten bleibt mehr Zeit für Familie, Pflege, Hobbys oder Ehrenämter. Sie können eine Sprache lernen oder sich politisch engagieren. Motivierte Mitarbeiter bleiben produktiv und machen weniger Überstunden.
Für die Gleichberechtigung könnte es ein Fortschritt sein, wenn beide Partner 30 Stunden arbeiten. Bisher wählen viel mehr Frauen als Männer Teilzeit. Sie haben weniger Einkommen, weniger Karrierechancen und weniger Rente. Mit reduzierter Arbeitszeit können Männer mehr Verantwortung für Kinder oder Pflege übernehmen. Auch sie würden von weniger Arbeitsstress profitieren.
Nicht nur im Backoffice ist das Modell möglich. Auch einige Handwerksbetriebe führen verkürzte Wochenarbeitszeiten ein. So möchten sie als Arbeitgeber attraktiv bleiben und Auszubildende anlocken. Gerade im Handwerk wandern viele Mitarbeiter in die Industrie ab.
Besonders das Modell “Gleiches Gehalt, gleiche Leistung, weniger Arbeitszeit” kann zu einem Arbeitstag mit hohem Stresslevel führen. Lässt man sich ablenken oder passiert etwas Unerwartetes, verfehlt man schnell die Ziele, die gesetzt wurden.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl kann darunter leiden, dass die Arbeit unter Zeitdruck und sehr fokussiert stattfindet. Für Privatgespräche wie einen kleinen Schwatz in der Teeküche ist in diesem Modell kaum Platz.
Viele Menschen definieren sich über ihre Arbeit und arbeiten sehr gerne und viel. Eine Umstellung mit drastischer Arbeitszeitverkürzung muss intensiv mit dem Team besprochen werden.
In Göteborg, Schweden, startete ein Seniorenheim einen Versuch, Pflegepersonal im Schichtdienst sechs statt acht Stunden arbeiten zu lassen. Die Bezahlung blieb gleich. Um die Pflege rund um die Uhr zu schaffen, wurde zusätzliches Personal eingestellt. Der Versuch war nicht erfolgreich, die Stadt Göteborg musste viel Geld zuzahlen.
Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass gleiche Arbeit in kürzerer Zeit in vielen Branchen nicht zu schaffen ist. Überall, wo “am Menschen” gearbeitet wird (Pflege-, Lehr- oder Erzieherberufe) kann nur sehr begrenzt Arbeitstempo und Produktivität erhöht werden. Aber auch für den Kassierer und die Fließbandarbeiterin ist es unrealistisch.
Der Fachkräftemangel, der schon jetzt überall spürbar ist, stellt ein weiteres Problem dar. Ist die Vier-Tage-Woche nur mit mehr Personal und nicht mit schnellerem Arbeitstempo möglich? Dann kann sie derzeit in vielen Branchen nicht umgesetzt werden.
Besonders gut funktioniert das Modell für Angestellte im Backoffice, die sich ihre Arbeit selbst strukturieren. Aus Firmensicht ist vor allem bei geistiger Tätigkeit ein straffer Arbeitstag möglich.
Zum Schluss ist immer entscheidend, dass der Chef die Vier-Tage-Woche lebt. Die Entscheidung liegt nicht nur bei der Führungskraft, die Arbeitszeit muss zum Unternehmen und seiner Kultur passen.
Natürlich kann es in Bereichen mit geistiger Arbeit Produktionsreserven geben. Aber: Warum haben das die Firmenleitungen bisher nicht bemerkt? Haben Unternehmen wirklich massenhaft Spielräume in der Produktivität ungenutzt gelassen? In einer so exportorientierten Wirtschaft wie der deutschen ist das wenig wahrscheinlich.
Die 4 Tage Woche in Deutschland könnte zu einer beträchtlichen Erhöhung des Arbeitslosigkeitsrisikos führen. Sie würde eine erhebliche Steigerung der Arbeitskosten bedeuten. Insbesondere für Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, wird es schwierig werden. 2002 wurde in Frankreich die gesetzliche 35-Stunden-Woche eingeführt. Es brachte die französische Wirtschaft in erhebliche Turbulenzen, die bis heute andauern.
Im schlechtesten Fall verlieren alle. Die Beschäftigten haben Druck bei der Arbeit, müssen in weniger Zeit mehr leisten und werden krank. Oder Unternehmen verlieren an Produktivität (Fließband, Handwerk). Bei Dienstleistungen wie im Krankenhaus braucht es mehr Personal. Es gibt aufgrund des Fachkräftemangels nicht ausreichend Personal. Am Ende sinken die Löhne und die Renten, der Wohlstand in Deutschland gerät in Gefahr.
Im besten Fall verbringen wir weniger Zeit bei der Arbeit, aber sind produktiver. Die Unternehmen haben keinen Nachteil, ihre Beschäftigten sind nicht gestresst, weniger krank und motivierter. Die Gesellschaft profitiert. Viele haben Zeit für Ehrenämter, für die Familie oder die Pflege. Haushalt und Kinderbetreuung werden gleichberechtigt aufgeteilt. Frauen haben die gleiche Chance auf Karriere und gut bezahlte Jobs.