Arbeitsschutz in Verbindung mit der Arbeitszeit ist nicht erst seit dem Urteil des Bundesarbeitsgericht im September 2022 oder dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2019 ein großes Thema. Schon 1994 wurde das Arbeitszeitgesetz (kurz ArbZG) in Deutschland erlassen. Darin werden beispielsweise die maximale Arbeitszeit, die Ruhepausen sowie Ruhezeiten und Schichtdienste geregelt. In Deutschland sind 8 Arbeitsstunden pro Werktag zulässig. Ebenso sind gesetzliche Pausenzeiten ab 6 Stunden und ab 9 Stunden, wie auch die Ruhezeiten von mindestens 11 Stunden im Arbeitszeitgesetz geregelt.
Auch die Arbeitszeiterfassung ist in diesem Gesetz geregelt. Jedoch gilt bislang lediglich die Pflicht zur Erfassung von Sonntagsarbeit und Überstunden. Die tägliche Arbeitszeit muss nicht erfasst werden. In § 16 ArbZG wird erklärt, dass diese Zeiten aufgezeichnet und die Nachweise mindestens zwei Jahre aufbewahrt werden müssen.
Obwohl nicht damit zu rechnen war, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im April 2023 ein Referentenentwurf zum Arbeitszeitgesetzes vorgelegt. Dieser Entwurf legt den Grundstein für ein neues Gesetz und gibt somit eine erste Richtung vor. Was ist in dem Entwurf festgehalten?
Grundsätzlich ist folgendes zu sagen:
Arbeitgeber sind verpflichtet den Beginn, das Ende und die Dauer der Arbeitszeit von Mitarbeitern am gleichen Tag wie sie geleistet wurden, elektronisch zu erfassen.
Des Weiteren wurden folgende Punkte erwähnt:
Es ist jedoch auch klar, dass es sich hierbei um einen ersten Entwurf handelt. Dieser wird sicherlich noch durch einige Hände gehen und von verschiedenen Institutionen geprüft werden. Es bleibt also abzuwarten, was nachher davon übrig bleibt.
Nach langem Warten ist die Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts am 03. Dezember 2022 erschienen. Die Richter haben auf 22 Seiten erklärt, wie sie zu dem Urteil im September gekommen sind. Das Urteil bestand aus zwei Punkten.
Aus der Urteilsbegründung lassen sich nun folgende Punkte herauslesen, die für Unternehmen wichtig sind:
Jetzt muss der Gesetzgeber diese Urteilsbegründung genau analysieren und daraus ein Gesetzesentwurf für die Zeiterfassungspflicht erarbeiten. Die Koalition ist somit in der Pflicht und wird dies hoffentlich nicht auf die lange Bank schieben. Bis zum Gesetz müssen Unternehmen wahrscheinlich nicht mit Strafen rechnen, falls keine Zeiterfassung im Unternehmen eingeführt wurde. Wer auf der sicheren Seite sein will, informiert sich jedoch frühzeitig.
Zum jetzigen Zeitpunkt haben wahrscheinlich weder die Politik, die Wirtschaft noch die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit einem Grundsatzurteil zum Thema Zeiterfassungspflicht gerechnet. Ein Betriebsrat hatte darauf geklagt, mithilfe der Einigungsstelle die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zu erzwingen. Am Ende dieser Verhandlung hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass dies nicht möglich sei, da der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet ist, die geleisteten Arbeitszeiten zu erfassen. Da also schon eine gesetzliche Pflicht zur Einführung einer Zeiterfassung besteht, hat der Betriebsrat hier kein Mitbestimmungsrecht. Erstaunlich war daran, dass das Bundesarbeitsgericht die Zeiterfassungspflicht nicht mit dem Arbeitszeitgesetz (welches bislang nicht überarbeitet wurde), sondern mit einer europäischen Auslegung des Arbeitsschutzgesetz begründet hat.
"Der Gesetzgeber hat mit der Pflicht zur Neuregelung der Arbeitszeiterfassung nunmehr die Chance, eine zukunftsfähige Gesetzesgrundlage zu etablieren, die zusätzliche Bürokratie vermeidet und als Grundlage für die Zunahme mobiler Arbeit die notwendige Flexibilität und Rechtssicherheit schafft."
Stefan Scheller, persoblogger.de
Eine Begründung des Urteils liegt noch nicht vor. Experten gehen davon aus, dass sich die Begründung auch noch einige Wochen oder Monate hinziehen wird. Da es nun ein Urteil gibt, jedoch keine Begründung und somit kein Gesetz, werden einige Fragen aufgeworfen. In diesem Artikel werden einige der Fragen beantwortet.
Der Grund dafür war, dass ohne eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, auch keine Überstunden ermittelt und erfasst werden können. Die Mitgliedstaaten waren also verpflichtet, ein Gesetz zur Zeiterfassung auszuarbeiten. Jedoch wurde nicht festgelegt, wann dies geschehen sollte. Der deutsche Gesetzgeber hat hierbei geschlafen. Die Zeiterfassung war zwar Teil des Koalitionsvertrags und sollte im Jahr 2022 von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil umgesetzt werden – passiert ist leider nichts.
Deshalb gilt das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 als Paukenschlag und drängt die Politik nun zu einer schnellen Handlung.
Noch ist nicht ganz klar, welche Auswirkungen das Urteil zur Zeiterfassungspflicht haben wird und wie das genaue Gesetz dazu aussehen kann. Aufgrund des EuGH Urteils zur Arbeitszeiterfassung von 2019 und einer europäischen Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes können einige Prognosen getroffen werden, wie sich das Urteil auswirken könnte.
Klar ist, dass in Zukunft alle Arbeitszeiten zu erfassen sein werden. Das bedeutet, dass nicht nur die Überstunden wie bisher, sondern der genaue Anfangszeitpunkt, Pausenbeginn und Pausenende sowie der Endzeitpunkt aufgezeichnet werden müssen. Dadurch verringern sich wahrscheinlich die Überstunden und somit auch die Überbelastung, die bekanntlich gesundheitsschädlich ist. Laut einer Umfrage von kiwiHR, finden 71% der Befragten, dass Zeiterfassung obligatorisch sein sollte, was zeigt, dass dieses Gesetz dringend erwünscht ist.
Im Gegensatz zum OB ist das WIE noch ungeklärt. Der Gesetzgeber muss nun einen Entwurf präsentieren, der dem Urteil zur Arbeitszeiterfassung vom BAG und dem EuGH Urteil gerecht wird. Es ist davon auszugehen, dass mehrere Möglichkeiten der Zeiterfassung erlaubt sein werden – mit einer HR-Software, einer Stechuhr oder gar mit Excel.
Die Frage ist jedoch, ob auch weiterhin mit ausgedruckten Formularen oder unzugänglichen Methoden erfasst werden kann, da das EuGH-Urteil eine Transparenz und Zugänglichkeit voraussetzt.
Noch ist unklar, ob Arbeitgeber die Verantwortung für Zeiterfassung an Ihre Mitarbeiter abgeben können. Derzeit ist dies möglich und sollte eigentlich auch in Zukunft so sein. Mitarbeiter, die im Außendienst oder im Home Office arbeiten, müssen Ihre Zeiten selbst erfassen können.
Wichtig für die Einführung eines Systems ist sowohl die Zugänglichkeit, die Objektivität als auch die Manipulationssicherheit.
Zugänglich bedeutet in diesem Fall, dass die erfassten Zeiten für Arbeitgeber und den jeweiligen Arbeitnehmer gleichermaßen einsehbar sein müssen.
Objektivität bedeutet, dass die Zeiterfassung die genauen Zeiten wiedergeben muss, die gearbeitet wurden. Im besten Fall wird dies natürlich digital auf die Sekunde gesteuert. Vor und nach der erfassten Arbeitszeit darf nicht gearbeitet werden.
Manipulationssicher bedeutet, dass alle nachträglichen Änderungen der Arbeitszeiten im System erfasst werden – wann sie gemacht wurden und von wem. Hier kommen Excel und Papiervorlagen womöglich an ihre Grenzen.
Elektronische Systeme und digitale Erfassung der Arbeitszeiten bieten sich natürlich an. Im ersten Vorschlag von Heil war sogar die Rede von einer Pflicht zu elektronischen Systemen. Dies hat den einfachen Grund, dass die Daten nicht verloren gehen und Manipulation vorgebeugt wird.
Ein weiterer Punkt, der beispielsweise für digitale Lösungen spricht, ist die Unabhängigkeit vom Standort des Arbeitnehmers. Arbeitet dieser aus dem Home Office kann genauso leicht gestempelt werden wie im Büro. Auch Mitarbeiter auf Baustellen, Montage oder im Außendienst können von unterwegs die Zeiten genau erfassen – per Handy, per Tablet oder per Laptop.
Das Ausmaß der Strafen wird erst mit dem Erlass des Gesetzes bekannt. Jedoch ist davon auszugehen, dass es empfindliche Strafen geben wird. Als Referenzwerte können die Bußgelder des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsschutzgesetzes herangezogen werden.
Gemäß § 22 Absatz 2 ArbZG beläuft sich das Bußgeld bei einem Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz auf bis zu 30.000€. Laut § 23 Absatz 1 ArbZG können sich Arbeitgeber bei schwerem Verstoß sogar strafbar machen.
Im Arbeitsschutzgesetz sieht es ähnlich aus. Laut § 25 ArbSchG werden Verstöße mit bis zu 25.000€ geahndet. Auch hier können schwere Verstöße mit gesundheitlichen Folgeschäden für Arbeitnehmer als Straftat eingestuft werden.
Gut zu wissen! Arbeitnehmer können bei einem Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz nicht mit einem Bußgeld belegt werden. Verstößt ein Mitarbeiter gegen das ArbZG, kann dieser abgemahnt werden. Bei einem Arbeitszeitbetrug (jahrelange falsche Dokumentation der Überstunden) kann der Arbeitnehmer sogar fristlos gekündigt werden.
Klare Antwort: JA!
Die erfassten Arbeitszeiten gelten als personenbezogene Daten, weshalb sie durch das Bundesdatenschutzgesetz besonders geschützt sind. Zeiterfassung und Datenschutz gehen also Hand in Hand.
Erfasste Daten müssen unter anderem vor dem Zugriff von Dritten geschützt sein und Änderungen müssen nachvollziehbar sein. Außerdem müssen die Daten vor Verlust und Zerstörung geschützt werden.
Die Daten dürfen nicht für andere Zwecke als die Zeiterfassung genutzt werden. Sollten beispielsweise Geräte für Arbeitszeit und Zutrittskontrolle verwendet werden, die auch Standortdaten aufzeichnen, dürfen diese Standortdaten nicht zur Überwachung genutzt werden.
Obwohl das Arbeitszeitgesetz schon vorher zu einer Erfassung der Überstunden verpflichtet hat, haben sich viele Unternehmen auf die Vertrauensarbeitszeit berufen. Dieses Modell bietet Arbeitnehmern zwar eine größtmögliche Flexibilität, jedoch sind Überstunden nicht erfasst und somit nicht finanziell ausgleichsfähig. Arbeitnehmer hatten keinen Nachweis darüber, wie viele Stunden sie geleistet haben und konnten im Streitfall diese nur durch eigene Aufzeichnungen beweisen, falls vorhanden.
Mit dem neuen Urteil zur Zeiterfassungspflicht ändert sich das. Manche Experten gehen dadurch von einem Ende der Vertrauensarbeitszeit aus. Andere vertreten die These, dass die Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich ist.
Es wird voraussichtlich möglich sein, die Arbeitszeit so zu gestalten, dass Mitarbeiter weiterhin flexibel agieren können. Auch mit dem neuen Gesetz wird es möglich sein, dass Mitarbeiter die 40 Wochenstunden frei einteilen. Der Unterschied wird jedoch sein, dass Überstunden nun erfasst und somit ausgleichsfähig sein werden. Im Endeffekt schützt die Zeiterfassung sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vor Ungerechtigkeiten.
Im Home Office wird sich nichts ändern, da sind sich die Experten einig. Unternehmen, die Mitarbeiter im Home Office haben, können digitale Systeme zur Zeiterfassung nutzen, in welchen Mitarbeiter die Zeit von überall erfassen können.
Gut zu wissen! Deutsche Arbeitnehmer häufen im Laufe ihrer Karriere durchschnittlich 3,5 Jahre Überstunden an. Nur bei einem von drei werden diese auch entsprechend abgegolten.
Dies wird sich mit der Zeiterfassung ändern. Es wird zwar weiterhin Unternehmen geben, die einen finanziellen Ausgleich per Vertrag ausschließen, jedoch wird durch die Zeiterfassung zumindest der Stundenausgleich möglich.
Beinhaltet der Arbeitsvertrag keine Regelung zu Überstunden, könnte das neue Gesetz sich positiv für Arbeitnehmer auswirken. Dann wären Unternehmen unter gewissen Voraussetzungen dazu verpflichtet, die Überstunden auszuzahlen.
Das neue Gesetz wird für alle Branchen relevant sein. Es wird voraussichtlich keine Ausnahme für einzelne Branchen geben. Jedoch werden, wie beim derzeitigen Arbeitszeitgesetz auch, einige besondere Positionen wie Geschäftsführer, Manager oder Chefärzte ausgenommen sein.
Schon im Februar 2022 wurde über eine verpflichtende Zeiterfassung in den im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Branchen diskutiert. Dazu gehören Branchen wie das Baugewerbe, das Gebäudereinigungsgewerbe, die Personenbeförderung, Gaststätten und Herbergen oder Unternehmen aus dem Bereich Transport und Logistik. Damals wurde der Gesetzesentwurf von der FDP abgelehnt. Nun müssen sich aber auch diese Branchen darauf einstellen, eine Zeiterfassung einzuführen.
Die Arbeitszeiterfassung liefert alle benötigten Daten für eine Entgeltabrechnung. Durch digitale Systeme fällt sogar die umständliche Berechnung der Stunden und der Überstunden weg, da diese direkt vom System ausgegeben werden.
Nachgewiesene Arbeits- und Pausenzeiten bieten Arbeitgebern den Überblick über die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter. Nur wenn Arbeitgeber auf die Einhaltung der Pausen und Ruhezeiten achten, können Mitarbeiter jeden Tag ausgeglichen und motiviert an die Arbeit gehen.
Mitarbeiter, die jede Woche mehr als die vertragliche Arbeitszeit arbeiten, benötigen vermutlich eine Entlastung. Durch die Arbeitszeiterfassung wird die Personalplanung einfacher und mitarbeiterfreundlicher.
Setzen Unternehmen auf verschiedene Modelle der Arbeitszeit wie Minijobs oder kurzfristig Beschäftigte, ist die Arbeitszeiterfassung enorm wichtig, um den Überblick über die Stunden der Arbeitnehmer zu behalten.
Durch die Zeiterfassung werden Überstunden sichtbar, die dann auch wieder ausgeglichen werden können. Manche Unternehmen bieten sogar einen finanziellen Ausgleich. Zeiterfassung bringt eine bessere Work-Life-Balance mit sich.
Erfasste Stunden ermöglichen Arbeitnehmern, den Überblick über ihre Stunden zu behalten. So können sie den Workload besser einschätzen und transparent aufzeigen, dass sie keine weiteren Aufgaben annehmen können. Ohne Zeiterfassung ist es nur schwer zu belegen, dass der Workload zu hoch ist.
Dies hängt direkt mit dem vorherigen Punkt zusammen. Werden zu viele Aufgaben auf die Schultern eines Angestellten gestapelt, leidet darunter die Produktivität. Studien belegen, dass Menschen nur 5-6 Stunden pro Tag produktiv sein können. Warum wir nun einen 8 Stunden Tag haben, steht auf einem anderen Blatt Papier. Festzuhalten ist jedoch, dass eine Zeiterfassung auch davor schützt, 10 Stunden im Büro zu sein, obwohl nur 8 Stunden im Vertrag stehen und man nur 6 Stunden effektiv arbeitet.
Es ist klar abzusehen, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kommen wird. Die Experten rund um Arbeitsminister Heil müssen jetzt schnellstmöglich einen neuen Entwurf des Arbeitszeiterfassungsgesetz vorlegen und darüber abstimmen.
Wichtig für die Unternehmen wird hierbei sein, welche Methoden und Systeme genutzt werden dürfen und welche nicht. Geht es nach dem Europäischen Gerichtshof, so werden unzugängliche und manipulierbare Methoden wegfallen. Unternehmen sind sicherlich gut beraten, sich jetzt schon mit den verschiedenen Systemen auseinanderzusetzen und zu testen, welches ihren Ansprüchen gerecht wird.
Wir halten Sie auf dem Laufenden, sobald es neue Entwicklungen zur Arbeitszeiterfassung gibt.